von meiner schwarzen Robe, einem silbernen Schlagring und einem rosa Tutu.
Einen Goldhamster sollte man weder in der Waschmaschine waschen noch in einer Mikrowelle trocknen. Das gehört in die Gebrauchsanleitung unter Sicherheitshinweise.
Zumindest in Amerika. In den USA kann man mit einer gewissen Erfolgsaussicht Konzerne auf Schadensersatz verklagen für erlittene eigene Qualen, wenn der Goldhamster der Kinder das nicht überlebt.
Schmerzensgeld für entgangene Lebensfreude heißt das nach deutschem Recht. Wobei man in Deutschland weniger Chancen auf einen lukrativen Ausgleich hat. Denn die diversen Körperteile des Menschen werden in Schmerzensgeldtabellen regelmäßig upgedatet, und zwar nicht eben üppig.
Bislang haben es die Obergerichte geschafft, Unvernunft und Unverfrorenheit abzuwehren. Wer über Jahrzehnte im Übermaß überzuckerte Schokoriegel mit überzuckerten Cola Getränken hinunterspült, wird die Hersteller dieser Produkte bis auf Weiteres nicht um Schadensersatz wegen erworbener Diabetes II angehen können. Das musste selbst ein ehemaliger hoher Staatsbeamter und Volljurist zur Kenntnis nehmen.
Auf den Ebenen darunter sind allerdings gelegentlich schon irritierende Urteile im Namen des Volkes gesprochen worden, etwa wenn eine Amtsrichterin im Jahr 2013 einen prügelnden Ehemann freispricht, weil Prügel für Ehefrauen im ethnisch-religiösen Lebenskreis der Beteiligten nicht ungewöhnlich sei, womit das durchaus komplizierte Rechtsinstitut des unvermeidbaren Verbotsirrtums greife und der Ehemann straffrei auszugehen habe.
Obgleich in der Instanz kassiert, zeigt dies – und auch die Entstehung einer Beschwichtigungskultur – dass Wegsehen der Strafverfolgungsbehörden zumindest bequem ist. Andererseits scheint das – zumindest auf der Amtsgerichtsebene damit kompensiert zu werden, dass auch mal ein Exempel zu statuieren sei. Etwa, wenn im November 2014 von der Presse berichtet wurde, dass ein ehrenamtlicher Jugendfußballtrainer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde, weil er seiner Aufsichtspflicht nach einem Jugendfußballtraining nicht nachgekommen sei.
Die furchtbare Tragik eines solchen Unfalls – dem Kind war beim Abräumen ein Fußballtor so unglücklich auf den Kopf gefallen – wird nicht gemildert dadurch, dass ein junger Fußballtrainer nun für sein Leben mit dieser Verurteilung gezeichnet ist. Ganz von der Signalwirkung für alle Ehrenämter. Wie soll denn überhaupt noch ein Ehrenamt bekleidet, wo auch immer ausgeübt werden?
Dabei ist die von Politikern so gerne zitierte Präventionswirkung gerade im Breitensport, explizit nachweisbar. Und wenn es dann einmal zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung unter jungen Männern kam, konnte ich genau mit einer solchen Situation gut punkten.
Balzrituale unter jungen Männern, Eifersucht. Wer ist der Platzhirsch. Und plötzlich soll da ein Schlagring eine Rolle gespielt haben. Jugendgerichtssache, man versucht den gesetzlich möglichen Weg der Deviation, also die Vermeidung des Strafverfahrens.
Das ist nicht so leicht, wenn es zu heftigen gegenseitigen Attacken mit deutlichen Spuren im Gesicht der Kontrahenten gekommen ist.
Ein Schlagring, silberfarbig?
"Aber Frau Richterin, kein aktiver Fußballer in der Jugendmannschaft des FC Grenzland hat einen Schlagring in der Sporttasche, wenn es zum Training geht".
"Wie meinen, Herr Verteidiger?"
"Nun, die Jungs wollen Tore schießen. Trainieren und danach haben die kaum noch Kraft für Aggressionen. Und keine Trainer wird es dulden, dass seine Jungs Schlagringe zum Training mitbringen. Das passte. Beweisermittlungsantrag: Kann es nicht sein, dass die silberne Uhr vom Gegner mit einem Schlagring verwechselt wurde?"
Kurz und knapp: Ein anderer Geschehensablauf wurde zumindest plausibel ins Gespräch gebracht und die Deviationsfrage wiederbelebt. Das zum Thema Präventionsgedanke im Jugendstrafrecht.
Mein Mandant wurde freigesprochen gegen ein paar Sozialstunden, die er gerne gemacht hat. Seinen Ausbildungsplatz hat er behalten.
Nun ist es keinesfalls so, dass es auf der Ebene der Amtsgerichte gehäuft zu Fehlurteilen dieser Art käme. Ganz im Gegenteil: Gerade hier gibt es hervorragende Richterinnen und Richter, die lebensklug und lebenserfahren Gerechtigkeit vor Ort glaubhaft repräsentieren.
Aber es gibt eben auch jenen Fall, dass mir eine junge Richterin - wohl eben erst dem 2. Staatsexamen entschlüpft - gänzlich jenseits entsprechender Lebenserfahrung einen Mandanten zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, der nichts anderes getan hatte, als in seinem äußerst gefahrgeneigten Beruf – er ist Sicherheitsfachkraft – seine Haut gegenüber einem betrunkenen Mob zu retten.
Und mein Job als Verteidiger war es, nicht nur seine Haut, sondern auch seine Existenz und die seiner jungen Familie zu retten. Denn mit einer solchen Freiheitsstrafe verliert man arbeitsrechtlich meistens - als Lebenszeitbeamter immer - seine Existenz.
Ich wette meine schwarze Robe gegen ein rosa Tutu, dass diese Richterin noch nie in einem Kirmeszelt eine wüste Massenschlägerei um 4 Uhr morgens erlebt hat.
Zum Schluss vergaß sie dann noch, meinem Mandanten das berühmt gefürchtete letzte Wort zu erteilen. Von Verteidigern gefürchtet, weil sich der Angeklagte mitunter nochmal um Kopf und Kragen reden kann und leider für das Risiko kein Äquivalent erhält.
Denn umgekehrt ist die Betonmasse in den Köpfen des Gerichts zu dem Zeitpunkt längst gebunden, und manche Vorsitzende haben innerlich schon den Urteilstenor formuliert. Immerhin aber lässt sich ein Verteidiger eine solche Steilvorlage für die Revision nicht entgehen. So war das also nach meinem ähm… brillanten Plädoyer. Eine eher gelangweilt blickende Richterin. Dann kurze Notiz des Tenors, an sich kein schlechtes Omen für einen Freispruch... aber wer weiß, vor Gericht und auf See… Sie wissen schon.
Nun ja, von beiden Dingen glaube ich etwas zu verstehen, schließlich hatte ich ja mal den ordentlichen Beruf eines Marineoffiziers erlernt. Dennoch, sie schaut so grimmig, die Richterin. Scheint sich erheben zu wollen.
Was ist mit dem letzten Wort für den Angeklagten? Die Richterin blickt immer noch in die Akte. Der Staatsanwalt blättert – wie mir scheint – schon in der Akte für den nächsten Fall. Jetzt zupft mich der Mandant am Ärmel der Robe. Blickt mich fragend an. Ja, er würde wohl gerne noch was sagen. Die Richterin hats vergessen – und, soll oder muss ich sie gar darauf aufmerksam machen? Rechtzeitig?
Eines ist klar, wenn sie aufsteht und zur Urteilsverkündung ansetzt, ist es zu spät. Nur, für wen ist es zu spät? Ich habe allein die Interessen meines Mandanten zu vertreten. Nicht den ordnungsgemäßen Ablauf einer Gerichtsverhandlung. Aber der Mandant muss doch das letzte Worte haben…
Und dann steht sie auf: 1 Jahr Freiheitsstrafe, im Namen des Volkes, die Sitzung ist geschlossen.
Darf er das, der Anwalt, oder nicht? Hätte das letzte Wort mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Freispruch erbracht? Eher nein. Jedenfalls, die Anrufung des Gerichts nach § 238 Absatz 2 StPO ist nicht Rügevoraussetzung für die Revision, so der BGH St 21, 288 ff.
Die Wissenschaft lehrt die hohe Bedeutung des letzten Wortes für den Angeklagten. Praktiker kennen aber leider auch dessen oft faktische Bedeutungslosigkeit nach langer Verhandlungsschlacht. Unsicher das Ergebnis, sicher aber die Folge, wenn das letzte Wort fehlt: Ein deftiger Revisionsgrund. Der wiederum ist eine solide Basis für eine Rückverweisung an ein anderes Gericht, nicht mehr. Aber auch nicht weniger: Denn jetzt kennen wir ja die Gesinnung des Gerichts a quo und haben eine komplette Instanz dazu gewonnen.
Der Rest ist Handwerk: Sprungrevision eben, aber bitte als „unbestimmt eingelegtes Rechtsmittel“ wegen der Berufungsfrist. Neue Richter, neue Chance durch alle Instanzen…jetzt aber mit dem letzten Wort für den Angeklagten! Theorie gegen Praxis.
Übrigens: Ich darf meine Robe behalten, wir konnten eine Bewährung erwirken.
Zurück zum Verbotsirrtum: Ein solcher Verbotsirrtum wurde allen Ernstes im Jahr 2006 von der Vorsitzenden Richterin einer Düsseldorfer Wirtschaftsstrafkammer in einem Rechtsgespräch erwogen, bei dem es um Millionenschäden im Rahmen von Untreueverfahren gegen Banker ging. Ich hatte dem noch während des Verfahrens in einer führenden Fachzeitschrift zur Diskussion gestellt, dass sich Banker mit teuren Beratungen durch Wirtschaftskanzleien quasi einen Verbotsirrtum erkaufen können, während einem Polizeiführer im Falle Jakob von M., der in Sekundenschnelle über Leben und Tod eines Kindes zu entscheiden hat, dies verwehrt werde. Moderner Ablasshandel.
Ohne Widerhall, weder im Verfahren des Polizeivizepräsidenten D***, noch im Fall der Wirtschaftsstrafkammer [1]. Bis dann schließlich der Bundesgerichtshof höchst selbst sich zu einer schallenden Ohrfeige veranlasst sah und den späteren Einstellungsbeschluss, verbrämt mit hohen Geldauflagen, kassierte.
Fußnote
[1] Burgmer in Kriminalistik, Bd. 8-9 2007
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