(Hans Fallada) oder die Generalprävention nach Art des Staates
Die Verurteilung zeigt sich quasi als Spitze des Eisbergs schlimmstenfalls in einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung, bestenfalls in einer Geldstrafe, die durchaus deftig ausfallen kann. In der Öffentlichkeit ist damit die Sache meist abgegolten und Gerechtigkeit zumindest nach außen hergestellt.
Dann aber kommt es knüppeldick. Die Geldstrafe ist dabei noch das kleiner Übel. Meist gelingt es dem Verteidiger hier mit der Vollstreckungsbehörde eine Ratenzahlung auszuhandeln.
Dann kommt der oder die Geschädigte. In Gewaltdeliktsverfahren meist durch einen Nebenklägeranwalt vertreten. Wenn der sein Geschäft versteht, hat er schon im Verfahren mittels Adhäsionsantrag einen vollstreckbaren Titel auf Schmerzensgeld erwirkt. So ganz nebenbei versteht sich.
Allerdings sind dessen Anwaltshonorar nach dem Streitwert des Schmerzensgeldes ebenfalls tituliert und dem Angeklagten auferlegt. Immerhin aber auch für den eigenen Verteidiger abrechenbar, auch das soll nicht verschwiegen werden.
Weiter geht es: Die Kosten des Verfahrens selbst, also die Gerichtskosten für das Gericht, die Staatsanwaltschaft, die Schöffen, sämtliche Entschädigungen für die Zeugen. Und auch für die Gutachten der Sachverständigen haftet der Verurteilte.
Und schließlich werden ihm die oftmals beträchtlichen Liquidationen der Ärzte, Krankenhäuser und der in Vorleistung getretenen Versicherungen präsentiert.
Natürlich hat man bis dahin auch schon Vorschüsse als Verteidiger eingefordert und bekommen. Denn sonst wäre die Gilde der Strafverteidiger bald im Existenzminimum erstarrt. Kosten für Miete, Personal, teure Spezialbibliothek und Datenbanken wollen bedient werden.
Und zu guter Letzt muss man mit dem weit verbreiteten Irrtum aufräumen, dass eine Pflichtverteidigung für den Mandanten kostenlos oder auf Staatskosten abgewickelt wird. Auch hier holt es sich der Staat mit langem Atem Jahren ggf. noch Jahre später vom Verurteilten wieder herein, zumindest in Raten.
Dann hat er also seinen Job verloren oder er kann ihn wegen einer Freiheitsstrafe auf absehbarer Zeit nicht mehr ausüben, was meist dasselbe ist. Im Justizvollzug darf er das dann abarbeiten. Mit einem Monatslohn zwischen 120 und 310 Euro. Der Lohn im Knast liegt nach dem Strafvollzugsgesetz bei einem Neuntel der Bemessungsgrenze für Sozialleistungen. So lautet die Formel gesetzestechnisch.
Das bekommt der Gefangene jedoch keinesfalls ausgezahlt. 3/7 werden für den Tag ihrer Entlassung angelegt, den Rest darf für Einkäufe in der Haftanstalt ausgegeben werden. Das wären dann Süßigkeiten, die ganz oben auf dem Wunschzettel stehen, Tabak natürlich und Duft und Rasierwasser, um dann dem tristen Knastalltag dann doch ein etwas freundlicheres Gepräge zu geben. Oder sich in bessere Zeiten zurück zu träumen.
Damit muss er sich aber beeilen, denn Verbrechensopfer können sich von arbeitenden Häftlingen das Geld für die Entschädigung wiederholen, indem sie dieses Gehalt pfänden lassen.
Ach ja. und wer denkt, wenigstens die Justizvollstreckung wäre umsonst, der kennt die deutsche Gründlichkeit nicht: Häftlinge mit Einkommen müssen für ihre Unterbringung einen Haftkostenbeitrag zahlen.
Da steht er nun bei sein er Entlassung, mein Mandant. Resozialisiert oder zumindest mit einer günstigen Prognose bei vorzeitiger Entlassung. Mit 1000 Euro Entlassungsgeld und 15.000 Euro titulierten Schulden, die mithin nicht der Verjährung unterlegen sind.
Das Mandat des Verteidigers kann eine Endlosschleife sein.
Oder aber, der Mandant fällt zurück in den Schoß seiner Familie. Zumindest einer neuen Beziehung.
Man mag es glauben oder nicht. Es scheint eine gehörige Gruppe von Frauen zu geben, die schon zu Haftzeiten eine erstaunliche Affinität zu inhaftieren jungen oder auch gestandenen Männern entwickeln. Das fängt mit Briefkontakten an oder auch Besuchen.
Woran liegt das? Wilde Männer, gebändigt hinter Gittern zu zahmen Objekten weiblicher Fürsorge umzufunktionieren. Lassen wir das, Anstaltpsychologinnen und Psychologen in eben dieser Reihenfolge mögen das analysieren. Fakt ist, dass wir Strafverteidiger oft mit im Spiel sind. Instrumentalisiert werden, wenn es denn um Besuchserlaubnisse geht oder Rechts- und Sozialfragen im Umfeld. Dem verschließt man sich nicht. Es könnte ja gut ausgehen und die Endlosschleife zum guten Ende führen.
Aber zurück vom Romeo zum Ede Normalo:
Günstige Sozialprognose also – mit zigtausend Euro Schulden auf 30 Jahre? Zumindest hat er ein Entlassungsgeld bekommen und der Gerichtsvollzieher ist ihm noch nicht auf den Fersen. Das weckt im Strafverteidiger dann noch den Insolvenzrechtler, mittlerweile eine weiteres Fach im Konzert der jetzt 30 Fachanwaltschaften. Gut das das Strafrecht von diesem Hype – oder sollte ich sagen Inflation – bislang verschont geblieben ist. Wie auch die Richter- und Staatsanwaltschaft durchaus ohne diese Aufsplittung der Fachkompetenzen auskommen.
Also richten wir schleunigst unserem resozialisierten Mandanten ein Pfändungsschutzkonto ein, damit wenigstens der im Knast mit dem Monatslohn von 120 Euro erworbene Mindestbesitz der tägliche Unterhalt gesichert bleibt.
Bestenfalls hat unser Mandant eine Lehre abgeschlossen und könnte jetzt auf Arbeitssuche gehen, wenn da nicht, ja wenn da nicht die Lossprechung hinter Gefängnismauern stattgefunden hätte. Ein krudes Wortspiel mit leider tiefergehender Bedeutung. Man vermeidet zwar – wie auch bei den Geburtsurkunden von in Haft geborener Kinder – Rückschlüsse auf die Justizvollzugsanstalt. Wasserdicht ist das Ganze aber nicht. Mit ein paar gezielten Fragen der Personalabteilung oder des Handwerksmeisters kommt dann doch alles wieder hoch.
Und die Endlosschleife rotiert weiter.
Denn wer einmal aus dem metallischen Essgeschirr der Justizvollzugsanstalten (fr)isst, hat eher geringe Chancen, wieder resozialisiert zu werden, wenn auch jenes Essbesteck mittlerweile aus einer weißen Keramikplatte mit Vertiefungen für Suppe und Bratkartoffeln besteht. Und religiöse Ethnien erhalten selbstverständlich schweinefleischbereinigte Kost. Und Fußwaschbecken werden sogar in den Gerichtssälen der Oberlandesgerichte vorgehalten. Das aber ist der political Correctness geschuldet, nicht der wirklichen Fürsorge.
Eine nachhaltige Betreuung entlassener Strafgefangener findet allein durch private Einrichtungen statt. Denn wenngleich sich staatlich bezahlte Streetworker im Verhältnis von 1: 60 ehrlich abmühen, kann das eine effiziente und bei der Klientel notwendige 24/7-Betreuung nicht annähernd gewährleisten.
Denn mit den Schulden – zumeist auf 30 Jahre tituliert – resultierend aus Gerichts- und Prozesskosten der Nebenkläger, Sozial- und Krankenkassen ist die Versuchung groß, Hilfe bei den früheren Connections zu suchen, Beschaffungskriminalität zur Fortsetzung lang entbehrter Gewohnheiten oder Süchte zu begehen oder eben mit dem vermeintlich letzten großen Coup aus allem raus zu sein oder an ein früheres Leben in Saus und Braus wieder anknüpfen zu können. Nicht zu vernachlässigen sind dabei die Knastbekanntschaften, die man gemacht hat, deren Know-how und die Gewissheit, sich in der kriminellen Verstrickung aufeinander verlassen zu können.
Das ist überhaupt ein Phänomen, das wir früher sowie auch heute zur Kenntnis nehmen müssen. Das Schweigen und die Knastehre. Da müssen die Justizvollzugsanstalten schwerste Straftaten in Ihrem Verantwortungsbereich zur Kenntnis nehmen. Und meist auch anzeigen. Fast nie konnten wir solche Straftaten klären. Selbst schwerstverletzte Insassen schwiegen sich beharrlich darüber aus, wer sie denn so zugerichtet hatte.
Ich habe als Kripochef hunderte von Vertraulichkeitszusagen unterschrieben mit der Folge, dass der Staat mit immensen Personal- und Kostenaufwand zahlreiche Hinweisgeber und mithin potentiellen Zeugen aus dem Verkehr ziehen musste.
Und hier liegt nämlich der wahre Grund der Knastehre. Es ist die nackte Angst vor Vergeltung. Die noch dadurch verstärkt wird, dass man der Rache nicht entgehen kann. Denn die kleine Schwester der Angst ist die Enge. Die Enge der Gemeinschaftszelle, der Gemeinschaftsduschen – hier geschehen die meisten Übergriffe - und der Aufenthaltsräume. Gegen Gefahren gibt es seit Urzeiten der Säbelzahntiger immer nur zwei Möglichkeiten: Kampf oder Flucht. Wenn die Flucht verwehrt ist, bleibt der Kampf gegen den Verratenen, gegen den man aber schon einmal unterlegen war. Ein Teufelskreis. Folge: Die Knastehre des Schweigens. So prosaisch ist das.
Wäre da noch die Privatinsolvenz. Nach 3 - 5 Jahren Wohlverhaltensphase notgedrungen ja nicht unmöglich, und schuldenbefreit ab in die grenzenlose Freiheit. Und mit der Antragstellung keine Pfändungen und keine Besuche vom Gerichtsvollzieher mehr? Eine schöne Vorstellung.
Einmal abgesehen davon, dass der Strafverteidiger plötzlich zum Verfahrensbevollmächtigten für den Antrag und die Begleitung der Privatinsolvenz mutieren müsste, übrigens auch bezahlt werden will, bedarf es vorher eines außergerichtlichen Einigungsversuches mit allen Gläubigern nebst Entschuldungsplan und Bescheinigung des Scheiterns desselben. Das machen Sie mal bei dem verwobenen und verschluderten Schuldenflickteppich Ihres Mandanten. Und der Sozialarbeiter im Knast, wenn er denn als „geeignete Stelle“ nach § 305 InsO“ anerkannt wäre, betreut hunderte seiner Klienten und braucht dazu Jahre.
Es bleibt dabei. Der Staat wäre gut beraten, viel mehr Mittel und Wege der Prävention vor und nach der Straffälligkeit seiner Bürgerinnen und Bürger zu investieren. Denn im Bundesdurchschnitt betragen die Haftkosten vorsichtig kalkuliert, weit über € 150/tägl. Das sind pro Inhaftiertem € 54.750 im Jahr. Oder möchten Sie es in Baukosten wissen? Bitte sehr: Der Neubau der JVA Düsseldorf schlägt 2011 mit € 210.000 pro Haftplatz zu Buche. Eine stolze Summe, die im Vorfeld der Verbrechensprävention oder zumindest in der Prävention nach Haftentlassung Erhebliches bewirken könnte.

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